Die belegte Lieferung des Balver Lüll an Ernst, Herzog von Bayern und Kurfürst zu Köln fiel in die Zeit der sog. „Truchsessischen Wirren“ (1583 – 1588).
Historische Einordnung: Sein Vorgänger, Kurfürst und Erzbischof Gebhard Truchseß von Waldburg-Trauchburg hatte sich 1579 in die evangelische Stiftsdame Agnes von Mansfeld-Eisleben verliebt. Als Priester war er jedoch an das Zölibat gebunden. Um sie zu heiraten, trat Gebhard am 19. November 1582 offen zur reformierten Konfession über und stellte seinen Untertanen das Bekenntnis frei. Am 2. Februar 1583 heiratete er in Bonn die Gräfin Mansfeld. Da er nicht an Rücktritt dachte, exkommunizierte ihn der Papst am 01. April 1583 und enthob ihn sämtlicher Ämter. Gebhard erkannte die Absetzung jedoch nicht an. Es kam zum Krieg mit Belagerung und Plünderung vieler Städte, insbesondere im Rheinland.

Im Herzogtum Westfalen war Hermann von Hatzfeld, entschiedener Gegner der Reformation und Drost von Balve, einer der wichtigsten Gegenspieler des abgesetzten Erzbischofs. Truchsess ließ Hatzfelds Wohnsitz, Schloss Wocklum bei Balve, besetzen und Mitte August 1583 niederbrennen. Hatzfeld machte erhebliche Summen aus seinem Privatvermögen verfügbar, um damit Truppen für Truchsess´ Nachfolger und katholischen Widerpart Ernst von Bayern zu unterhalten.
Am 16. April 1584 ergab sich die truchsessische Besatzung des Arnsberger Schlosses. Am 14. Juni 1584 huldigte das Land dem neuen Landesherrn Ernst von Bayern. Nach der Eroberung seiner Residenzstadt Bonn am 28. Januar 1584 floh Gebhard noch im Juni desselben Jahres resigniert in die Niederlande, eine tragische Figur. Damit endete der Krieg aber nicht, sondern verselbständigte sich und artete mehr und mehr zu gegenseitigen Raub- und Zerstörungszügen aus, die schließlich in die Wirren des Dreißigjährigen Krieges übergingen.

Da die Kurkölner Kasse nach dem Ende des Krieges leer war, gaben der Kurfürst und das Domkapitel Herrmann von Hatzfeld im Jahr 1589, als Gegenleistung für seine besonderen Verdienste, die Burg Schönstein und die Herrschaft Schönstein zu Eigentum. Dass Hatzfeld die Hexenverfolgung in Balve maßgeblich vorangetrieben haben soll, wurde ihm in der späteren Geschichtsschreibung nicht zur Last gelegt. Ihren fürchterlichen Höhepunkt, mit rund 300 Opfern und dem dokumentierten Attentat gegen den Hexenkommissar Caspar Reinhardt, fand die Balver Hexenverfolgung erst um das Jahr 1630.
Herrmann von Hatzfeld wird der Bau des Drostenhauses in Balve zugeschrieben, heute Stammplatz der Kneipe „Balver Lüll“. Nach Hatzfelds Tod im Jahr 1600 wurde ihm in der alten Balver Pfarrkirche ein eindrucksvolles Epithaph gewidmet. Nun war das mit Mauer und Graben befestigte Städtchen Balve auch konfessionelles Grenzland.
Das Balver Lüll kommt zum Zuge
Vor diesem dramatischen Hintergrund ist der von Lokalhistoriker Josef Pütter zitierte früheste Bericht zum Balver Lüll besonders bemerkenswert. So ganz leer scheint die Kasse des Kurfürsten Ernst damals im Jahr 1587 nicht gewesen zu sein. Jedenfalls wusste der Kurfürst die richtigen Prioritäten zu setzen. In den Kriegswirren dieser Zeit wird das Balver Lüll wohltuend auf die geplagten Gemüter gewirkt haben.
Seine eigene Lebensführung entsprach kaum dem strengen Ideal der Gegenreformation (vgl. Charakter und Privatleben). Nach Berichten über Ernst von Bayern wechselten Zeiten leidenschaftlichen Ungestüms mit schlaffer Trägheit ab. Er sei unfähig gewesen, seine privaten Vorlieben zu zügeln. Zu seinem ausschweifenden Lebenswandel gehörte die Neigung zu gutem Essen und Trinken, zur Jagd und zu Liebesaffären. Ernst lebte mit Gertrud von Plettenberg zusammen, für die er in seiner Arnsberger (Neben-)Residenz das Palais Landsberger Hof errichten ließ. Im Jahr 1595 zog er ihretwegen ganz nach Arnsberg. Oder schmeckte ihm einfach das Balver Bier so gut?
Pütter schreibt dazu: „1587, als der Kurfürst Ernst von Köln vom Januar ab monatelang in Arnsberg residierte, bestellte der „erfahrene“ Küchenmeister des Schlosses und der Residenz, Werner Quandt aus Köllen, durch den Amtsdrosten sofort 6 Tonnen Bier – und darauf, da diese 6 Tonnen für die Hofhaltung und das Dienstgesinde nur einen „Dagesdrunk“ darstellten, für die „ganze Zeit der Hofhaltung alles Bier, so in der ganzen Stadt gebraut wurde“ [1 Tonne entspricht 125 l Bier].
Weiter heißt es, der Hofschlachter aus Köllen schickt Bescheid wegen des laufend zu liefernden Viehes und teilt mit, „daß Ihrer kurfürstlichen Gnaden das Balver Lüll gut gemundet habe und allen kurfürstlichen Räten und den Gästen wohl bekommen sei. Er sei beauftragt, dieses dem Amtsdrosten zu Wocklum [also Herrmann von Hatzfeld] und dem Bürgermeister und Rat der Stadt wissen zu lassen. Durch diese kurfürstliche Hofbelieferung wurde das Balver Spezialgetränk in Adelskreisen beliebt und konsumiert“.
Aus dem Jahre 1592 findet sich bei Pütter eine weitere Nachricht zum Lüll: Der Amtsdroste von Bilstein, Kaspar von Fürstenberg, gab auf der Waterlappe bei Werl ein adeliges Bankett, wobei vorzügliches Balver Lüll ausgeschenkt wurde. „Die Herrschaften haben insgesamt für über 10 Taler dort fröhlich vertrunken“.
Nach Josef Pütter 1965: „Sauerländisches Grenzland im Wandel der Zeit“, Seite 77. Als Quelle nennt Pütter „Nachrichten aus dem Fürst-Hatzfeld-Archiv zu Trachenberg“.
Aus dieser Zeit der Religionswirren soll der Spruch stammen: „Säu faste ärre Balve“ (…so fest wie Balve). Nach Frank Wöste´s Wörterbuch: „dat stêt sô vaste asse Balve“ – das steht fest wie Balve, wird gewiss geschehen.