Älteste bekannte Erwähnung

Die älteste bekannte Quelle, in der das Balver Lüll erwähnt wird, stammt aus dem Jahr 1587. Der Balver Heimatforscher Josef Pütter zitiert aus dem Archiv des Fürsten von Hatzfeld zu Trachenberg:

1587, als der Kurfürst Ernst von Köln vom Januar ab monatelang in Arnsberg residierte, bestellte der erfahrene Küchenmeister des Schlosses und der Residenz, Werner Quandt aus Köllen, durch den Amtsdrosten sofort 6 Tonnen Bier – und darauf, da diese 6 Tonnen für die Hofhaltung und das Dienstgesinde nur einen „Dagesdrunk“ darstellten, für die „ganze Zeit der Hofhaltung alles Bier, so in der ganzen Stadt gebraut wurde“.

Weiter heißt es:

„Der Hofschlachter aus Köllen schickt Bescheid wegen des laufend zu liefernden Viehs und teilt mit, „daß Ihrer kurfürstlichen Gnaden das Balver Lüll gut gemundet habe und allen kurfürstlichen Räten und den Gästen wohl bekommen sei. Er sei beauftragt, dieses den Amtsdrosten zu Wocklum und den Bürgermeister und Rat der Stadt wissen zu lassen“.

Durch diese kurfürstliche Hofbelieferung wurde das Balver Lüll besonders in Adelskreisen beliebt und konsumiert. Aus dem Jahre 1592 haben wir folgende Nachricht:

„Der Amtsdroste von Bilstein, Kaspar von Fürstenberg, hat auf der Waterlappe bei Werl ein adeliges Bankett gegeben, wobei vorzügliches Balver Lüll ausgeschenkt wurde. Die Herrschaften haben insgesamt für über 10 Taler dort fröhlich vertrunken.“

Auch der Geschichtsschreiber Hermann Stangefol (1575–1655) erwähnte in seinen vierbändigen „Annales Circuli Westphalica“ das Balver Lüll:

„Hierselbst wird ein ziemliches Bier gebraut, so Lüll genannt, und im ganzen Lande bekannt ist.“

Und im Wörterbuch der Westfälischen Mundart (Franz Woeste, 1882) finden wir:

lüll, n. 1. berauschendes bier zu Balve. Bälwisk Lüll, dat stiget em an den Krüll.- in W. Brauns lat. hexam: bibulis est lullia balvis, wozu Kampschulte bemerkt: Lüll hieß das ehemals in Balve gebraute weissbier. 2. schlechtes, trübes, dünnes getränk. K. Fischart (Gargant) lüllzäpflein. der name vielleicht von der einschläfernden (einlullenden) oder betäubenden kraft ; vgl. ahd. lolli, lolium; Kil. Lollebancke, slaepbancke.

1587 Balver Lüll, das Bier des Kurfürsten
Die belegte Lieferung des Balver Lüll an Ernst, Herzog von Bayern und …
1600 Exportschlager Lüll
Zwischen 1600 und 1615 soll die jährliche Bierausfuhr 1100 bis 1300 Tonnen …
1656 „Ein zimliches Bier, Lul genant“
Bereits der mittelalterliche Geschichtsschreiber Hermann Fley, genannt Stangefol (1575–1655) erwähnte in Buch …
1700 Brennen und Brauen: Lieblingsgewerbe der Balver
Nach dem Grauen des dreißigjährigen Krieges und der Hexenverfolgung änderte sich der …
1760 Westphälische Geschichte – Von der Stadt Balve
Johann Dietrich (Diederich) von Steinen (* 7. März 1699 in Frömern, heute …
1789 Stadtbrand durch Bierbrauer?
Der große Stadtbrand am 23. Juli 1789 entstand nach Josef Pütter im …
1805 Lob des Bieres – gegen die Schnapsbrennerei
Die Landgräflich Heßische für das Herzogthum Westphalen angeordnete Regierung Unterthänigster Bericht von …
1882 Bälvisk lüll dat stiget em an den krüll
Eintrag im Wörterbuch der Westfälischen Mundart von Franz Wöste, 1882 Bälvisk lüll …
1910 Krüdewagen, die letzte Brauerei
Landauer-Gespann vor Haus Krüdewagen Das Bierbrauereigewerbe hat sich in Balve bis um …

Das Balver Lüll, ein Exportschlager

Zwischen 1600 und 1615 soll die jährliche Bierausfuhr 1100 bis 1300 Tonnen betragen haben, wobei eine Tonne nach damaligem Maß etwa 125 Litern entsprach. Mit 160.000 Litern Jahresausstoß erreichten die Balver Brauer zwar nicht die Mengen der „Hektolitermillionäre“, die 350 Jahre später in ganz andere Sphären vordrangen, aber für eine ländliche Brauerei der Frühen Neuzeit war das schon eine beträchtliche Menge.
Dr. Heinz Röttgermann lobte 1952 in einem Beitrag zur Heimatkunde des Hönnetals: „Ein besonders köstliches Bier müssen die Balver hergestellt haben. Sie sollen fürstliche Höfe mit dem Balver Lüll beliefert haben.“ Um 1600 und später hätten die Balver Brauereien Glasmacher und Massen 1000 bis 1300 Tonnen Bier nach Menden, Iserlohn, Plettenberg, Stockum, Affeln, Neuenrade, Werdohl und Arnsberg geliefert, berichtet er weiter.

Am Erfolg des Balver Bieres wollte auch der Stadtkämmerer teilhaben. Die Stadtverwaltung erhob eine Exportabgabe von einem Stüber pro Tonne Bier.

Die Wiederentdeckung des Balver Lüll

Das Balver Lüll ist bis 1912 in Drögen Brauerei (später Gasthof Krüdewagen) an der Hauptstraße gebraut worden, ehe die Markenrechte und die Rezeptur an die Brauerei Iserlohn verkauft wurden. Zuletzt lagen die Markenrechte bei der Luxus Bier GmbH in Iserlohn, die mit der Abwicklung der ehemaligen Iserlohner Brauerei beauftragt war. Seit 2021 sind die Rechte an der Marke „Balver Lüll“ aber wieder in Balve.

Bereits im Jahr 2019 haben Geschichtsinteressierte und Balver Hausbrauer damit begonnen, die Spur zum Balver Lüll aufzunehmen. Weil kein Rezept für dieses Bier überliefert war, galt es zunächst, sich mit den Braumethoden früherer Jahrhunderte und den seinerzeit verwendeten Rohstoffen vertraut zu machen.

Aus der Literatur („Sauerländisches Grenzland im Wandel der Zeit“, Josef Pütter, 1965) war bekannt, dass das Balver Lüll mit Gerste aus Garbeck, Eisborn und Langenholthausen gebraut worden sein soll. Außerdem berichtet Pütter von Hopfen, der am Husenberg, am Krähenbrink (am Hönneufer) und am Hilgen Huisken (in der Nähe des heutigen Bahnhofs), also in Balver Gefilden, geerntet worden sei. Das Wasser zum Brauen soll der Kormke-Quelle und dem Kirchenspring entnommen worden sein.

Wertvolle Hilfestellung bei der Entwicklung des Braurezeptes gab Gerd Ruhmann, ehemaliger Braumeister und heute Museumsführer im Brauereimuseum Dortmund. Er steuerte sein Wissen über früher wahrscheinlich verwendete Malz- und Hopfensorten, über in der Frühen Neuzeit bekannte Braumethoden und über noch nicht ganz so bekannte Gärprozesse bei.

Wie das Balver Lüll geschmeckt hat, ist leider nicht überliefert. Aber es wird sehr wahrscheinlich auch nicht immer gleich geschmeckt haben. Reproduzierbare Brauprozesse, mit denen ein Bier von gleichbleibender Qualität hergestellt werden konnte, wird es damals nicht gegeben haben. Auch das Darren des Malzes war natürlich noch kein automatisch gesteuerter Vorgang, sondern geschah über offenem Feuer, so dass die wichtige Bierzutat mal dunkler, mal heller ins Bier kam, was natürlich dessen Farbe und Geschmack beeinflusste.

Apropos Farbe: Im Wörterbuch der Westfälischen Mundart (Franz Woeste, 1882) wird das Balver Lüll als „Weißbier“ bezeichnet. Auch der Historiker und Pfarrer Johann-Diedrich von Steinen (1699 -1759) beschreibt das Balver Bier: „Das weiße Bier, so hieselbst gebrauet wird, heisset Lüll“, ist in Band 6 seiner Westphälischen Geschichte nachzulesen. Unter dem „Weißbier“ oder dem „weißen Bier“ ist aber wohl nicht das zu verstehen, was man heute als Weißbier kennt, nämlich die vornehmlich in Süddeutschland aus Weizenmalz gebraute Biersorte. Vielmehr wurden früher auch obergärige Gerstenbiere als Weißbiere bezeichnet. Woeste und von Steinen liefern also den Hinweis, dass das Balver Lüll ein obergäriges Bier war.

Die frühen Balver Brauer verwendeten auch schon Hopfen, um den Geschmack ihres Bieres zu verbessern und es haltbarer zu machen. Immerhin ist der Hopfen als Bierzutat seit etwa dem Jahr 800 bekannt, nachdem zuvor allerlei Kräuter den ansonsten faden Getreidetrunk schmackhafter gemacht haben.

Die Hausbrauer setzten die Stücke dieses historischen Puzzles zusammen. Schritt für Schritt näherten sie sich dem Bier an, das so schmeckt und aussieht, wie einst vielleicht das Balver Lüll geschmeckt und ausgesehen haben könnte: Ein in der heutigen Wahrnehmung eher dunkles, für damalige Verhältnisse aber recht helles, obergäriges Bier aus Gersten- und etwas Weizenmalz (zur Verbesserung von Vollmundigkeit und Schaumstabilität), versetzt mit dem Hopfen einer alten Landsorte. Es kommt als rustikales Kellerbier in Flaschen oder Fässer, als Bier also, das nicht pasteurisiert wird und naturtrüb bleibt, weil die Reste der Zutaten nicht herausgefiltert werden.

Wie schmeckt das neue Balver Lüll?

Biertrinken ist immer Geschmackssache: Was der eine sehr gerne mag, kommt bei der anderen nicht so gut an. Wir finden: Das Balver Lüll ist ein Bier, dem die nicht herausgefilterten Reste von Hopfen, Malz, Hefe und Eiweiß einen ganz besonders aromatischen und würzigen Geschmack verleihen. Malz und Hopfen, also Süße und Bittere, sind gut ausbalanciert. Je nach Trinktemperatur treten malzige, karamellige und nussige Nuancen in den Vordergrund. Der ausgesuchte Hopfen bringt dezente Noten von Äpfeln und Zitrusfrüchten ins Bier und verleiht ihm dadurch seinen frischen Charakter. Weil es damit etwas bitterer schmeckt als man es gemeinhin von den eher malzbetonten Kellerbieren gewohnt ist, bezeichnen wir das Balver Lüll als westfälisches Kellerbier.